Vorsicht, wenn die Spirale nach unten andreht
- Matthias Michael
- 12. März 2024
- 6 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 5. Mai 2024
Die Reputation und die Kultur einer Verwaltung lassen sich positiv steuern – Verantwortliche sollten aber den Zeitpunkt nicht verpassen

Wenn öffentliche Träger und Verwaltungen bei mir und meinen Kolleginnen und Kollegen nachfragen, um beraten und operativ unterstützt zu werden, sprechen wir zunächst mit den Auftraggebern über deren Ziele. Dann analysieren wir die Herausforderungen: Was läuft hervorragend, was nicht? Welche Schwächen fallen auf? Welche Stärken sollten ausgebaut und dargelegt werden? Wo und warum gibt es Unzufriedenheit? Was kann schnell besser organisiert werden? Welche Maßnahmen dauern etwas länger? Hierfür unterhalten wir uns mit einigen Ansprechpartnern aus unterschiedlichen Bereichen und Hierarchiestufen. Schließlich entwickeln wir – je nach Ressourcenlage – eine Strategie sowie einen Plan für die Umsetzung der Maßnahmen sowie eine Zeitachse.
Bei der Arbeit für Bundes-, Landes- oder Kreisbehörden stoßen wir immer wieder auf ähnliche Herausforderungen:
die Leistungen effizienter zu machen (und im Zuge dessen mit den Schlechtleistern adäquat umzugehen);
die Arbeitsatmosphäre und das Miteinander angenehmer zu gestalten;
den Bürgerservice zu verbessern;
die Digitalisierung von Prozessen zu beschleunigen;
die Reputation der Organisation zu optimieren und hierbei auch die Verwaltung als attraktiven Arbeitgeber zu etablieren – auch im Hinblick darauf, Interessenten zu adressieren und Stellen zu besetzen.
Alles das ist möglich, es dauert einige Wochen und setzt bei der jeweiligen Organisationsleitung die Erkenntnis und den Mut voraus, diese wichtigen Änderungen konzertiert voranzutreiben. Tut sie das nicht, dreht möglicherweise eine fatale Spirale nach unten an: Gerüchte über schlechte Leistungen, erste entsprechende Posts im Netz, negative Bewertungen auf Internetportalen, eine steigende Fluktuation, sinkende Bewerberzahlen, eine sich verschlechternde digitale Reputation, Kundenbeschwerden über zu langsame Prozesse, ein angespanntes internes Miteinander, wenig Freude an der Arbeit, Flüstern im Kreis der Kolleginnen und Kollegen, negative Medienberichterstattung, Verunsicherung der Verwaltungsleitung, Dienst nach Vorschrift, Qualitätseinbußen, viele Kündigungen, etliche nicht besetzte Stellen, überlastetes Personal, vermehrte Krankmeldungen, Frust allenthalben über den Teufelskreis…
Manche Beschäftigte machen Dienst nach Vorschrift, sie verkaufen ihrem Arbeitgeber nur ihre Zeit
Was tun, um diese toxische Situation aufzulösen und die Organisation neu aufzustellen – mit einer anderen Haltung, mit wieder steigender Motivation, Leistungsbereitschaft und Lust auf die sinnvolle Arbeit und das Agieren im Team?
Die Beschäftigten verstehen im Sinne einer Intelligenz der Vielen meist sehr gut, was vorgeht, was schiefläuft und was getan werden müsste. Aber sie können das alles nicht selbst umsetzen. Also fällt es uns zu, der Verwaltungsleitung die Sachverhalte, die Unzufriedenheit, die strukturellen Mängel in der Arbeitsorganisation zu spiegeln und Maßnahmen für eine grundlegende Verbesserung vorzuschlagen. Üblicherweise priorisieren wir dann nach quick wins, prozessualen oder strukturellen Veränderungen, Schulungen und Personalangelegenheiten.
Einmal haben wir in einer Verwaltung nach der Regelkommunikation in den Sachgebieten gefragt. Jede Leitungsperson handhabte das anders. Es stellte sich heraus, dass ein wöchentlicher Jour-fixe keineswegs selbstverständlich war, sondern sich manche Führungskräfte nur einmal pro Monat oder sogar nur einmal im Quartal hinsetzten, um in ihrer Gruppe über die Arbeit, die Aufgaben, die Herangehensweisen, die Qualität, das Miteinander und das Selbstverständnis zu diskutieren. Was mag die Folge dieser unzureichenden internen Kommunikation gewesen sein? Manche Beschäftigte fühlten sich nicht wertgeschätzt, nicht gesehen, nicht gehört mit ihren Aufgaben, Erfahrungen, Sorgen und Erfolgen. Sie verkauften ihrem Arbeitgeber ihre Zeit. Von solchen Kolleginnen und Kollegen sollte die Verwaltung wohl kein übermäßiges Engagement erwarten. Andere hatten womöglich schon innerlich gekündigt oder surften während der Arbeitszeit im Netz und sahen sich nach Stellenanzeigen um, bei denen tatsächlich von Gemeinschaft, Aufmerksamkeit und Zugewandtheit die Rede war.
Was tun mit Schlechtleistern, die das Miteinander schädigen und ihre Teams schwächen?
Also etablierten wir wöchentliche Regeltreffen in allen Teams, dazu Austausch über die Sachgebiete hinweg sowie die Möglichkeiten, sich zu hinreichend spontanen abteilungsübergreifenden Coffee Corner Meetings zu treffen. Die Identität, das Miteinander und der Austausch untereinander haben sich seither spürbar verbessert. Es ist deutlich mehr Teamgeist und Identität spürbar, das bestätigen auch entsprechende strukturierte Befragungen. Mit weiteren Aktivitäten ließe sich daran arbeiten, die Beschäftigten zu Botschaftern und Fans ihres Arbeitgebers weiterzuentwickeln.
Vorher bitten wir Führungskräfte, sich mit ihren Schlechtleistern intensiv auseinanderzusetzen. Denn diese Nörgler und Flurfunker sorgen für eine beeinträchtigte oder gar miese Stimmung, sie schädigen die Kultur und Atmosphäre und tun das alles zu Lasten ihrer Teams. Deshalb sollten Führungskräfte, die so etwas erfahren, möglichst schnell einschreiten und sich mit dem Störenfried austauschen. Mögliche Ziele: Entweder der Miesepeter hängt sich fortan richtig rein und verbessert seinen Output. Oder er bzw. sie wird in absehbarer Zeit das Team verlassen – auch wenn das den Arbeitgeber Mühe und/oder Geld kostet. Denn eine dauerhafte Schädigung, Behinderung und Zerstörung des freudigen Miteinanders durch eine ungehobelte, störrische und sich unsozial verhaltende Person sollte die Abteilungs- oder Teamleitung nicht dulden.
Mitunter lassen sich solche Menschen tatsächlich motivieren, vielleicht durch eine Versetzung bzw. durch andere Aufgaben oder durch das Klären und Beseitigen von unbehandelten Konflikten. Sofern das nicht mehr möglich ist, hilft es allen Beteiligten, wenn der Störer künftig eigene Wege geht. In jeder Verwaltung sind solche Gespräche möglich, auch Versetzungen an Orte, wo der zuvor nicht Leistungswillige und nicht Integrierbare aufblüht, sich wohlfühlt und einbringt.
Service sollte gewollt sein; Benchmarks können definiert und geschult werden
Auch der Service einer Verwaltung lässt sich meist mit wenigen gezielten Maßnahmen deutlich verbessern. Deutsche Behörden haben täglich mit jeder Anfrage, jedem Anruf, jedem Brief und jedem Gast die Chance, eine zuvorkommende, aufmerksame und menschenfreundliche Haltung einzunehmen und entsprechend zu handeln. Wenn beispielsweise ein Mail eingeht, mit dem eine Bürgerin eine Bauvoranfrage für eine Maßnahme an ihrem Einfamilienhaus stellt, dann sollte auf den Vorgang schriftlich geantwortet werden. Zusätzlich würde es aber einen positiven Eindruck machen, das Verfahren zu verkürzen, zur Klärung beitragen und einem anderen Verständnis von Verwaltung entsprechen, wenn die Sachbearbeiterin oder der Sachbearbeiter die Dame anriefe und ihr erklärte, was sie zu berücksichtigen habe und welche Ausnahmen und Lösungen für ihr Ziel möglich wären. Das würden Menschen als gelebte Bürgerfreundlichkeit wahrnehmen, als einen besonderen Service, einen Dienst am Nächsten. So etwas spricht sich herum und wirkt sich mittelbar positiv auf die Reputation der Verwaltung aus. Es verlangt allerdings zunächst die Erkenntnis: Die Kommunikation am Telefon oder noch besser über ein Videokonferenzsystem ist vertrauensbildender als nur ein Schreiben des Amtes, noch dazu im formvollendeten Bürokratiejargon vieler deutscher Ämter. Übrigens kann und sollte auch dieses Thema benannt und bearbeitet werden: Viele Menschen stoßen sich an der unpersönlichen Nominalsprache und an dem schalterhaften Staatsgehabe mancher Verwaltungsleute.
Damit diese Haltung bei Sachbearbeitern, Teamleiterinnen, Sachgebiets- und Abteilungsleitern, bei der geschäftsführenden Beamtin, dem Landrat oder der Regierungspräsidentin gelebt wird, sollten zunächst die Führungskräfte diese Form der Zugewandtheit annehmen und dann den Anspruch auch an ihre Teams weitergeben. Kurz: Service sollte gewollt sein. Benchmarks für Servicequalität können definiert und geschult werden.
Menschen gehen gern zur Arbeit, wenn sie sich mit Herz, Hirn und Hand einbringen können
Jede Verwaltung kann sich – ähnlich wie Unternehmen – ein Leitbild geben. Darin werden ihre Mission, ihre Vision, ihre Werte und ihre Identität definiert. Das geschieht bottom-up, in der zuständigen Arbeitsgruppe können Beschäftigte aus allen Abteilungen und Hierarchie-Ebenen mitwirken. Wichtig: Das Leitbild darf nicht zum Papiertiger verkommen oder nur in der Lobby der Verwaltung hängen. Vielmehr muss es täglich gelebt werden. Jede und jeder kann sich darauf berufen. Insofern sollte sich die Verwaltungsleitung genau überlegen, welche Formulierungen im Leitbild aufgenommen werden. Auf jedes treffende Wort kann es ankommen. Missverständnisse und Fehlinformationen sind zu vermeiden. Um es mit Mark Twain zu sagen: „Der Unterschied zwischen dem richtigen und dem beinahe richtigen Wort ist der zwischen dem Blitz und dem Glühwürmchen.“
All diese Maßnahmen wirken sich auf die Kultur und das Miteinander in der Verwaltung aus. Beschäftigte gehen in der Regel gern zur Arbeit, wenn sie das Gefühl haben, sich dort mit Herz, Hirn und Hand einbringen zu können, wenn sie Möglichkeiten ausprobieren dürfen und Fehler verziehen werden. In manchen Ländern und Branchen sind Fehler sogar erwünscht, weil daraus schnell gelernt werden kann, so dass die Abläufe, die Leistungen und die Produkte besser werden. Aus diesen Gründen sollten die Geschichten über Fehler, Mängel und Missverständnisse gesammelt und kommuniziert werden. Das gehört zur Störfallprävention ebenso dazu wie zum Kontinuierlichen Verbesserungsprozess (KVP). Die Verwaltung als lernende Organisation. Idealerweise definiert sie Standards, an denen sich alle orientieren sollen. Das tun viele Marktführer in der Wirtschaftswelt in Form eines Manifestes oder einer Charta. Darin dokumentieren sie, dass sie höhere Ansprüche haben als der Gesetzgeber. Sie geben vielleicht längere Garantiezeiten oder bieten einen schnelleren Service oder verwenden hochwertigere Komponenten für ihre Produkte.
Duzen oder siezen? Anzug oder Jeans? Stechuhr oder Vertrauensarbeitszeit?
Auch Verwaltungen kämpfen längst um die besten Absolventen, Berufseinsteiger und Fachkräfte. Eine exzellente interne Kultur kann sich hilfreich auswirken, so dass die Behörde Planstellen schnell mit hervorragenden Kräften besetzen kann und die Qualität der Leistungen gesteigert wird. Diese positive Arbeitgebermarke wiederum befördert direkt die Reputation der Behörde. Das Management des nachhaltigen Ansehens hängt – ebenso wie die Kultur – von der Führung der Organisation ab. Duzen oder siezen? Anzug oder Jeans? Stechuhr oder Vertrauensarbeitszeit? Home Office oder Anwesenheitspflicht? E-Bike oder Limousine mit Chauffeur?
So wie sich die Wirtschaft wandelt, so sollten sich auch die deutschen öffentlichen Verwaltungen und die Behörden der neuen Zeit anpassen. Erstens wollen sie die Ansprüche der Menschen erfüllen, zweitens wollen sie beste Nachwuchskräfte an sich binden, drittens hat sich der autoritäre Führungsstil als genauso unzeitgemäß erwiesen wie der Laisser-faire-Führungsstil. Als einziger sinnvoller, weil zeitgemäßer gilt der kollaborative.
Herzliche Grüße
Prof. Dr. Matthias Michael, Geschäftsführer von Michael&Stiegler
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